Rechtsmobilisierung im sozialrechtlichen Verfahren – Bericht über die interne Fachkonferenz der Nachwuchsgruppe am 30.11.2018 in Kassel

Zu Fragen der Rechtsmobilisierung im sozialrechtlichen und sozialgerichtlichen Verfahren führte die Nachwuchsgruppe „Die Sozialgerichtsbarkeit und die Entwicklung von Sozialrecht und Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland“ am 30. November 2018 eine interne Fachkonferenz in Kassel durch. Rund 20 Vertreterinnen und Vertreter von am Verfahren beteiligten Akteursgruppen, darunter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gewerkschaften und Verbänden, Beschäftigte in Beratungseinrichtungen, haupt- und ehrenamtliche Richterinnen und Richter sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, brachten im Format einer moderierten Gruppendiskussion ihre Expertise und Erfahrung zu den Themen Beratung sowie individuelle und kollektive Rechtsdurchsetzung ein.

Die durch das Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung geförderte Nachwuchsgruppe erforscht verschiedene Teilaspekte des Sozialrechts und des sozialgerichtlichen Verfahrens in sozial-, politik-, und rechtswissenschaftlichen Qualifizierungsarbeiten. Zwei Vorhaben befassen sich mit Fragen individueller und kollektiver Rechtsmobilisierung und -durchsetzung, wobei das Forschungsinteresse insbesondere auf der Rolle der Verbände in der Beratung und im sozialgerichtlichen Verfahren liegt.

Im ersten Teil der Konferenz stand die Beratung durch Träger der Freien Wohlfahrtspflege, Gewerkschaften und andere Beratungseinrichtungen als niedrigschwelliger Zugang zum Recht im Mittelpunkt. Nach einer Einführung durch Katharina Weyrich in das Thema ihres Promotionsvorhabens diskutierten die Expertinnen und Experten im Beisein weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Fragen zu Wirkung und Funktion von Beratung für das sozialgerichtliche Verfahren, über Unterschiede zwischen den Einrichtungen, ihre Handlungsspielräume und die Rolle und Aufgabe der Verbände, Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen. In der von Prof. Dr. Tanja Klenk (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) und Prof. Dr. Felix Welti (Universität Kassel) moderierten Diskussion bestand große Einigkeit in der Einschätzung, dass vorgerichtlicher Beratung eine gewisse Filterfunktion im Hinblick auf spätere Verfahren zukommt und die Beratenden ihre Aufgabe in der Ordnung, Strukturierung und rechtlichen Aufbereitung der zugrundeliegenden Lebenslagen sehen. Betont wurde zugleich eine besondere, mit Vertrauen ausgestattete Funktion der nichtbehördlichen Beratung, Rechtsuchende zu ermutigen, ihre Rechte gegenüber Behörden und Leistungsträgern geltend zu machen. Zustimmung fand die Einschätzung, dass (Rechts-)Unkenntnis und fehlende Informationen Hemmungen verursachen, ein Widerspruch- oder Klageverfahren anzustrengen. Behördenunabhängige Beratung leiste daher einen Beitrag zur individuellen Rechtsmobilisierung.

Auch im zweiten Teil der Konferenz war die Rolle der Verbände das Thema der Diskussion, nun aber mit dem Fokus auf einen besonderen prozessualen Gesichtspunkt: Moderiert von Prof. Dr. Andreas Hänlein (Universität Kassel) und Prof. Dr. Simone Kreher (Hochschule Fulda) tauschten die Expertinnen und Experten ihre Ansichten zur Einführung einer Verbandsklage in die sozialgerichtliche Verfahrensordnung aus. Zunächst hatte Solveig Sternjakob, die diese Frage in ihrem Promotionsvorhaben untersucht, die Besonderheiten einer altruistischen Verbandsklage und die Hintergründe der Einführung dieses Instruments in Frankreich einführend erläutert. In der Debatte zeigte sich, dass der mögliche Nutzen einer solchen Klageart auch im deutschen sozialgerichtlichen System, das traditionell auf die individuelle Geltendmachung eigener Rechte angelegt ist, jedenfalls von den Anwesenden durchaus gesehen wird. Es könnte also Bedarf an einer solcher Reform bestehen, insbesondere um Nachteile des Individualrechtsschutzes auszugleichen. Kontroverser wurden die Fragen diskutiert, welches die denkbaren Anwendungsfälle einer solchen Klage sein könnten und ob Verbände bestimmte Kriterien – etwa Erfahrung oder Gemeinwohlorientierung – erfüllen müssten, um klagebefugt zu sein.

Die Diskussionen zu diesen und weiteren Fragestellungen der Fachkonferenz beleuchteten wesentliche Aspekte von Rechtsmobilisierung aus der Sicht und mit dem Erfahrungswissen der anwesenden Akteure der Beratung und des sozialgerichtlichen Verfahrens. Die Nachwuchsgruppe konnte so über einzelne Bereiche des Projekts einen ersten nichtöffentlichen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der Praxis anstoßen. Darauf aufbauend können die Mitglieder Fragestellungen in den einzelnen Vorhaben präzisieren und weitere Impulse für die Projektarbeit insgesamt gewinnen.